Auf Freiheitstaumel folgt Coronakater: Dänemarks Schritt zurück in die Maßnahmen

Dänemark, das war für viele in den vergangenen Monaten ein Sehnsuchtsort. Während hierzulande um jede kleine Maßnahme und Lockerung erbittert gerungen wurde, schienen die Dänen das Virus locker zu händeln. Klar. Selbstbewusst. Und so fast leichtfüßig durch die Pandemie zu tänzeln. Die Dänen, sie trauten sich was. Sie gehörten zu den ersten, die es in Europa wagten, in den Lockdown zu gehen. Das war im März 2020 und zu diesem Zeitpunkt erstaunlich rigoros. Gleichzeitig waren es aber auch die Dänen, die sich früh wieder locker machten, Corona-Maßnahmen rückbauten, in die Freiheit strebten.
Früher als in den meisten anderen Ländern saßen die Kids wieder in den Schulen, und wer geimpft, genesen, getestet war, konnte bald wieder in Bars zechen und im Fitnessstudio schwitzen. Das Sozialleben kehrte häppchenweise zurück – dank eines Stufenplans. Selbst die Masken hatte man irgendwann wieder von Mund und Nase gezogen, um den Ruch von Freiheit noch besser schnuppern zu können. Denn vor zwei Monaten machten die Dänen Schluss mit den Limitierungen, hoben restlos alle Beschränkungen auf.
Pandemie
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Und sie feierten ihren "Freedom Day" – gemeinsam, ohne Unterschiede. Der Geimpfte mit dem Ungeimpften, ohne Testerei, ohne Masken, ohne Abstand, ohne alles. Und viele andere Länder staunten über diesen Triumph des kleinen Landes und darüber, dass das Virus dort, wie es schien, keinen Stich mehr machte. "Die Pandemie ist nicht ganz überstanden, aber wir haben ihr den Zahn gezogen", sagt Lone Simonsen, Pandemieforscherin an der Universität Roskilde damals. Die Verbreitung des Virus sei zwar noch nicht gestoppt, aber die Hospitalisierung und die Todesfälle. Ein Erfolg, den sie maßgeblich auf die Impfquote zurückführte.
Alles unter Kontrolle?
Denn auch beim Impfen setzten die Dänen Maßstäbe. Die Impfquote des Landes ist eine der höchsten der Welt. So gut wie jeder Däne über 50 ist inzwischen vollständig geimpft (etwa 95 Prozent), bei der Bevölkerung über 12 Jahren sind es sagenhafte 86 Prozent. Zahlen, von denen andere Länder nur träumen können. Deutschland zum Beispiel. Zwar sind hierzulande laut offiziellen Angaben des Robert Koch-Instituts mindestens 67,3 Prozent der Gesamtbevölkerung komplett geimpft, die Zahl steigt aber seit Wochen nur noch in homöopathischen Dosen an.
"Die Epidemie ist unter Kontrolle. Wir haben rekordhohe Impfraten", jubelte entsprechend der dänische Gesundheitsminister Magnus Heunicke im August, als angekündigt wurde, dass Dänemark auch die die letzte Corona-Formalie ad acta zu legen plante. Mitte September verlor Sars-CoV-2 sodann den Status der gesellschaftlichen Bedrohung, wurde zur ernsthaften Infektionskrankheit herabgestuft. Das Pandemiegesetz war somit außer Kraft, die Sondervollmachten der Regierung hinfällig. Die Normalität kehrte zurück. Doch wie sich nun zeigt, war sie wohl nur zu Besuch.
Denn die Zahlen, sie explodieren wieder. Seit Anfang Oktober schnellen sie bereits wieder nach oben. Als die Maßnahmen verabschiedet wurden, zählte das Land gerade mal 200 Infektionen am Tag, inzwischen sind es mehr als zehnmal so viele. Der aktuelle Wert liegt bei über 2300 Ansteckungen. Am Dienstag lag die Inzidenz in dem 5,8 Millionen- Einwohner-Land bei 277,7. Eine Entwicklung, die, wie Simonsen dem "Spiegel" sagte, zu erwarten war. "Wir sehen jetzt zwar einen raschen Anstieg der Infektionen, aber keinen starken Anstieg der schweren Erkrankungen und Todesfälle. Tatsächlich haben wir sehr wenige Tote", sagte sie.
Doch auch die Krankenhäuser füllen sich zunehmend mit Covid-19-Patienten. Auf diese Entwicklung müsse, so Simonsen, am meisten geachtet werden. Derzeit werden etwa 300 Coronafälle landesweit in Krankenhäusern behandelt. Laut der Epidemiologin eine noch vertretbare Anzahl. Über einen längeren Zeitraum gesehen, liege die Grenze bei 500 Patienten. Kurzzeitig könnten auch 800 bis 1000 Covid-19-Patienten behandelt werden. Kritisch könne die Lage aber bereits in einem Monat werden, dann nämlich, wenn die Zahlen so steigen wie bisher.
Rolle rückwärts für die Dänen
Es ist nicht so, dass Expertinnen und Experten nicht von Anfang an vor zu viel Euphorie gewarnt hätten. Die Regierung selbst ließ sich immer ein Hintertürchen offen, verbarg das auch nicht. "Die Regierung wird nicht zögern, schnell zu handeln, wenn die Pandemie wieder wichtige Funktionen in unserer Gesellschaft bedroht", so der Gesundheitsminister Ende August. Und diese Situation, die gesellschaftliche Bedrohung, ist nun wieder da. Zuletzt steckten sich so viele Dänen mit dem Virus an, dass nun der Coronapass, also 3G, ab Freitag wieder reaktiviert werden soll. Mehr noch: die Regeln werden verschärft. Der Genesenen-Status soll statt zwölf nur noch sechs Monate lang gelten. Zudem müssen ihn dann bereits 15-Jährige vorzeigen, zuvor galt die Regel für alle ab 16 Jahren.
Der Pass soll dafür sorgen, dass möglichst viele Freiheiten erhalten bleiben, Dänemark möglichst offen bleiben kann. Vorzeigen muss ihn, wer ins Restaurant, die Bar, den Club möchte sowie bei größeren Veranstaltungen – drinnen ab 200, draußen ab 2000 Besuchern. Das heißt, es handelt sich bei der Reaktivierung für die Dänen zwar um einen Schritt zurück, aber um einen mit überschaubaren Konsequenzen. So sind beispielsweise an den Schulen keine Maßnahmen vorgesehen. Nur für Ungeimpfte werde es, so Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, "komplizierter" und das sei auch richtig. Wer es noch nicht getan habe, solle sich impfen lassen, sagte sie am Montag. Daraufhin meldeten sich, wie die "NZZ" berichtet, mehrere Tausend Menschen für die Impfung an.
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